ATEMOBJEKTE
Vor 22 Jahren, im Jahre 1964, begann ich mit den ersten Arbeiten, die von dem Phänomen Atmen ausgingen. Es handelte sich damals um Musik. Realisierungen von Atem, umgesetzt in Musik, Sogenannte Atemmusiken, bei denen entweder das rhythmische Element des Atmens, das ständige Auf und Ab formal bestimmend für den Musikablauf war (in einem Orgelstück wurde dies damals realisiert durch einen sogenannten Schweller, ein Mittel, die Musikstruktur, die sich ständig leicht veränderte, in der Lautstärke ganz kontinuierlich an- und abschwellen zu lassen) oder es wurden verschiedene Klangfarben des Atmens verwendet, von einem Bläseroktett gespielt, wie ein Strömen von Hauchen, Blasen, Pfeifen auf vielerlei Rohren, Instrumenten und Mundstücken. Ich ging dann über zu visuellen Durchformungen des Atemrhythmus mit aufblasbaren Ballons, aus denen die Luft wieder entwich und dann zu den mechanisch gesteuerten Fellobjekten, die noch heute ein wesentliches Element meiner Arbeiten sind. Aus der Entstehungsgeschichte werden gleich ablesbar: die zwei Komponenten des Atmens, die akustische und die visuelle, auf die ich später in der Beschreibung des Zusammenwirkens von Geräusch und Environment eingehe. Gewandelt hat sich indes, seit der Zeit der Entstehung dieser ersten Objekte bis heute, wesentlich der geistige Hintergrund und die Bedeutung, die Atmung und Bewegung in den Objekten für mich hat. Die Beschäftigung mit dem Atmen als künstlerischem Element war zu jener Zeit Ausdruck einer fast neurotisch zu nennenden Atemempfindlichkeit, die mich infolge eines Halsleidens ständig aufmerksam machte auf das Atmen, wo jede Aufregung, jede körperliche Anstrengung mir durch Atemschwierigkeiten das Atmen bewußt machte. Das traf zusammen mit meiner damaligen Uberzeugung von der Möglichkeit, alle organischen Prozesse des Körpers künstlich durch Chemikalien, Drogen etc. zu steuern, und daher meiner Neigung, mich selbst durch Einnahme auf diese Art zu beeinflussen, um alle Unvollkommenheiten der eigenen Natur gewissermaßen nach Belieben auszugleichen: Müdigkeit, wenn man eigentlich arbeiten sollte, Wachheit, gerade, wenn man nachts schlafen will, schlechte Laune, wenn die Notwendigkeit da ist, mit irgend jemand zu kommunizieren etc. Es entstanden von daher gesehen (gewiB auf dem Boden des Unbewußten, aber als Ausdruck meiner Person), technisch produzierte Organismen, deren Faszination im Atmen lag, im Ablauf, in den Pausen, in der Langsamkeit, wechselnd mit schnellen Phasen, wie es eigentlich kein menschlicher Bauch vermag. Das Arbeiten mit den Atemobjekten, das Verändern von Zusammenhängen in bezug auf Lage, Ort und Situation zeigte mir dann bald, daß sich ihr Charakter völlig verändern konnte, daß die Objekte zugrundsätzlichen Symbolfiguren für bestimmte Lebenssituationen oder gewisse Ängste wurden. Auch, daß sie gleichzeitig ihre Umgebung verändern: Kienholz montierte ein Atemobjekt in die Ecke in seinem Bordell-Environment. Ich habe diese Erfahrungen damals folgendermaßen notiert: »Eigentlich war das Gitter des Kinderbettes nur als Schutz gedacht, damit sich niemand auf das liegende atmende Wesen setzt aber dabei entdeckte ich, daß das Objekt plötzlich einen ganz anderen Charakter annahm: etwas ganz unziemlich Bedrohliches, Gewalttätiges ging von ihm aus... « — Es war die Entdeckung, daß Atemobjekte sich wesentlich verändern je nach dem Ort, an dem sie sich befinden. Objekte, die mitten auf der Wand verhältnismäßig abstrakt, allenfalls »submarin« sind, scheinen, auf einer Kante sitzend, beflügelt; und leicht erschreckbar flattern sie vielleicht gleich wieder davon. In der Ecke oder im Winkel sind sie häuslich verborgen, manchmal etwas Iauernd, auf einem Baumstamm hockend werden sie zu Parasiten, auf dem menschlichen Körper, womöglich am Hals, können sie Entsetzen verbreiten wie eine böse Geschwulst.